Yuli – Das Leben tanzt sich nicht von selbst

Es ist wohl konventionell, eine Biografie an historische oder politische Ereignisse zu knüpfen, so werden persönliche Situationen zu historischen Fixpunkten und die Geschichte eines Landes wird zum Katalysator für die eigene Lebensgeschichte. Sehr konventionell, aber unaufdringlich erzählt der Film Yuli die Lebensgeschichte des kubanischen Balletttänzers Carlos Acostas, den sie in Kuba entweder Yuli oder Carlo Acota nennen, weil in Kuba offensichtlich die S weggelassen werden. So viel habe ich auch ohne Spanischkenntnisse aufgeschnappt.

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Once Upon a Time in Hollywood (und Rachmaninow)

Bei den vier Klavierkonzerten Sergej Rachmaninows lässt sich schön beobachten, wie komplexer die Stücke von Stück zu Stück werden. #1 ist schnörkellos und direkt, trägt es aber bereits die Handschrift des russischen Meisters. #2 ist ebenfalls recht zugänglich in der Form, wartet aber in allen drei Sätzen mit erhabener Virtuosität und den ganz großen Emotionen auf. #3 ähnelt #2 zwar sehr, doch zweifele ich, dass die Meisten Hörenden, mich eingeschlossen, der Form (Exposition, Durchführung, Reprise usw.) folgen können. Kein Wunder, Rachmaninow jongliert wild mit den Elementen. Für #4 geht der Komponist noch einen Schritt weiter. Er nimmt seine Elemente (einen großen Orchesterapparat, Virtuosität, große Emotionen, eingängige Melodien), aber generiert ein total zerlegtes Stück. Allein den Beginn müssen wir im Laufe des ersten Satzes dreimal hören, nicht weil er keine Übergänge in andere Stückteile schaffen kann, sondern weil er – was will uns der Komponist damit sagen – keine ordentlichen Übergänge schaffen will. Nach dem Motto: „Leute, ihr wisst, was ich kann. Ich will aber Neues schaffen und so bekommt ihr nicht die Kopie vergangener Stücke, ich heiße ja nicht Mozart. Gleichzeitig kann mich aber nicht von meinem Stil trennen.“

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Don’t shoot the messenger! – Frank Castorfs Ring in Bayreuth

Vorbemerkung: Ursprünglich war diese Rezension als ein Leserbrief geplant, das ist aber gründlich schiefgegangen, kein Mensch schreibt einen Leserbrief, der genauso lang ist wie der Artikel, auf den er sich bezieht. Das hier ist meine erste Opernrezension. Eine Oper zu renzensieren halte ich für das schwierigste, was es gibt. Schwieriger als ein Buch oder ein Film. Denn eine Oper besteht aus  vielen sehr dicht miteinander verbundenen Ebenen, denen allen Rechnung zu tragen ist. Die Musik als Komposition. Gesang und Orchester. Der Inhalt der Oper und die Inszenierung. Die darstellerische und sängerische Umsetzung auf der Bühne. Die musikalische Leitung aus dem Orchestergraben heraus. Und im Falle meines Leserbriefs kommt noch die Bewertung der Bewertung hinzu.

Liebe Frau Lemke-Matwey,

Mit der grotesken Vorgabe von nur 1500 Wörtern vier Opern durchzurezensieren (hatte das Feuilleton damals so viel mehr anderes, noch Spannenderes im Sommerloch zu berichten?), das gelingt Ihnen gut, wenngleich etwas weniger Details aus dem Rheingold auch ok gewesen wären.

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Cameron Carpenter in Konstanz

Es gibt viele Möglichkeiten den Gehalt eines Konzerts zu beurteilen: Eine Messgröße ist das Spiel mit den Erwartungen und Vorurteilen hinsichtlich des Interpreten und die Überraschungen, die selbst reflektierte Besucher erwarten. Der Interpret des Abends wusste mit den Vorurteilen über sich umzugehen. „Zu wild“, „zu unorthodox“, „respektlos“, „zu unmusikalisch“, „zu oberflächlich“, alles, aber nicht nah dran an der historischen Aufführungspraxis. Und mit dem Eröffnungsstück, das wie Wagner auf Vodka und Kokain[1] klang, erfüllte er die übelsten Erwartungen. Viel zu laut, komplett undurchsichtig, eine riesige Wolke, die Schlimmes für die kommenden 90 Minuten erwarten ließen. Doch mit dieser Ouvertüre sollten nur die Ohren durchgepustet werden, danach ging es mit einem anderen Stück, dazu gleich mehr, erst richtig kalibriert. Der Überraschungseffekt war geglückt, überaus wohlwollende Rezensenten könnten diese Aktion sogar als Selbstironie benennen, doch dazu will ich mich nicht hinreißen lassen. Vielleicht hat er sich ja wirklich vertippt.[2]

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Patriotismus ist stärker als Rassismus

Am Ende kann nur Abraham Lincoln ein zutiefst geteiltes Volk einen (oder zumindest zwei seiner Individuen). Was für eine scheinbar heilende Botschaft, die auch etwa 150 Jahre nachdem der Film spielt (also heute) gebraucht wird. Quentin Tarantino versucht wie Jon Stewart in den letzten Jahren seiner Daily Show die mehrfach gespaltene Nation auf einen (oder zwei) gemeinsamen Nenner zu bewegen: Patriotismus, also den Glauben an das Gute im Keim der Vereinigten Staaten von Amerika. Diese in der Coda des Films eingeschobene Botschaft werden Menschen, die noch keinen „Tarantino“ gesehen haben, leicht übersehen, denn auf diese eine Botschaft arbeitet der Film überhaupt nicht hin. Die Tarantino-Neulinge werden sich nach dem Besuch von „The Hateful 8“ vermutlich leicht verloren und verwirrt in derselben Position widerfinden, wie vom Partner abservierte 16-Jährige: “Soll es das gewesen sein?“.[1] Insbesondere wenn man den Film nicht in der originalen englischen Fassung geschaut hat, kann man den Schauern nicht übel nehmen, dass ihnen beim nach Hause Gehen nur noch der Eindruck eines geschwätzigen Gemetzels hängen bleibt. Wer davor keine Tarantino-Filme mochte, wird sie auch „The Hateful 8“ nicht mögen.

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