2009 – Brasilien für gute zwei Wochen

Tag 1 : Folgende Dinge quellen über in Rio (ausgesprochen Hio Dschi Dschanäro) Straßen, Körper der Frauen, weil die Klamotten zu eng sind, Touristen am Corcovado schieben sich hoch. Zuviel Personal im Supermarkt, vor dem Bus, in der Mensa, Parkeinweiser. Total verrückt.

Tag 8 – Mega: Brasilien ist ein riesiges Land. Unglaubliche Distanzen legt man zurück (meist im Bus, der mal klimatisiert, mal wind belüftet, aber immer mit Leuten an Bord durch die Straßen heizt, mit denen ein Gespräch sicherlich nicht langweilig würde. Doch hapert es an der Sprach. Was man so alles von bekannten Menschen, die versuchen gut zureden hört, dass man die spanische Schrift nur französisch aussprechen muss, hilft mir nicht weiter, besonders wenn man nur holprig französisch spricht. Dennoch konnte ich ganz gut verstehen was die Leute, wollen, wenngleich nur mein Schutzschild István mit allen redet) nur um in die nächste Millionenstadt zu kommen. Rio hat bekanntlich 9-17 Millionen Einwohner, Salvador 3, Maceió immerhin eine. Oi! (Ist portugiesisch (oder brasilianisch?) für Hi! Hab ich selten bisher gehört (dafür umso häufiger ein Livekonzert von einer Frau mit Band und singender Crowd), aber Oi! verfolgt einen durchs ganze Land. Die Straßen können noch so uneben sein, die Läden noch dreckig, die Häuser noch einfach, Oi! ist überall. Die farbigen Halbeier mit dem prägnanten Schriftzug dienen als Telefonzellen. Die werden hier auch gut gebraucht, das Land befindet sich gefühlt im Aufschwung, aber überall ist’s noch nicht soweit. Die im Besitz der Leute befindlichen Handys sind alle dieselben, István hat auch eines (Bild würde es wahrscheinlich Volkshandy, Titanic Volksempfänger nennen). Erkennen kann man es am selben Klingelton. Das ist an sich ein banaler Fakt, aber auffällig ist es schon, dass immer wenn ein Piepser kommt, mindestens zwei Leute zu viel in ihren Taschen (und hiermit sind nicht die billigen Einkaufstüten aus Plastik gemeint, in der überall alles reingesteckt wird) wühlen und herumkramen. Wie im Deutschland der 1990er Jahre, als noch kaum jemand personalisierte Klingeltöne besaß. Der Vergleich mit der Bundesrepublik im letzten Jahrtausend ist insofern treffend, da auch in anderen Bereichen des „öffentlichen Lebens“ also im Fernsehen, die Brasilianer ein paar Jährchen zurück liegen. Die darstellerischen Leistungen von Schauspielern, also das Minenspiel in den Telenovelas (Brasilien ist ja das Erfinderland der Telenovela und wie in jedem Erfinderland, vergöttert man dementsprechend die Hauptdarsteller. Die wichtigste Telenovela, sei wie BBB (BigBrotherBrasil), Tagesgespräch. Die aktuelle Staffel spielt im hochzeitsfreudigen Indien, das Setting erinnerte – übertragen gedacht – an die Edgar-Wallace-Filme, die seinerzeit in London und Umgebung ihren vollen Duft lokalkosmopolitischer Natur entfalten konnten) sind auch von den Besuchern, die die brasilianische Sprache eher rudimentär kennen, als laienhaft zu bezeichnen und am Strand tummeln sich mehr Tangas als Hotpants, wobei, wie bereits angedeutet, diese knappen Bikini-Unterteile selten wirklich den Betrachter erfreuen.

Wie schon angedeutet, sind die Distanzen hier nicht ohne, eine mangelnde öffentliche Infrastruktur macht Bahnverkehr unmöglich, dafür sind die Rodoviárias (Busbahnhöfe) umso zentraler. Nicht geografisch (Recifes Standort als Umsteigeplatz ist das brasilianische Pendant zum Flughafen Berlin-Schönefeld), sondern reisetechnisch. Es gibt auch hier einen VIP-Bereich in dem besagte Telenovelas beglotzt werden können, 25 Liter-Wasser-Zapfanlagen stehen zur Verfügung. Im Bus selbst, der ziemlich edel ausgestattet sein kann, geschieht früher oder später dasselbe. Jemand kommt mit Essen, Kaugummis oder dergleichen herein und bietet allerlei sonstigen kulinarischen und nicht kulinarischen Schnickschnack feil. Aufmerksam, denkt man sich am Anfang, aber irgendwann nervt es tierisch. Irgendwann freut man sich aber auch wieder, weil irgendwann bekommt man doch wieder Hunger und Durst.

Tag 10/11: Brasilien bei schlechtem Wetter (Bewölkung und leichter Regen) macht keinen Spaß. Das war in Rio schon so und in Fortaleza (István war begeistert: „Wie Mannheim!!“), einer durchschnittlichen Stadt im Nordosten genauso. Isti hält sie für gefährlich, ich für ziemlich unspektakulär. Den Mercado Municipial (der Ort an dem alles verkauft wird, was nicht bei drei auf den Bäumen ist), assoziierte ich mit einem Gefängnis. Eng, voller Leute, die einen angequatscht haben, Hitze aber keine schlechte Luft. Eiskalt hingegen war die Touristeninfo ganz unten, in der aber – wen wundert’s und genauso in unserem „international hostel“ – niemand Englisch sprach. Genervt bin ich aber durch aufdringliche Bettler, amüsiert über das Auftreten des Reporters vor dem Mercado.

Tag 11/12: Ein herrlicher Tag! Ein reger Wechsel zwischen Sonne und Wolken am Boden in der hässlich schönen Stadt Fortaleza, gewinnt das Land Brasilien auch am Himmel mehr Profil. Siehe da: Alkoholiker, verliebt dauerknutschende Pärchen, Geschäftsreisende und schreiende Kinder gibt es nicht nur in innereuropäischen, sondern auch in innerbrasilianischen Flügen. Dass Brasilien aber bald zum Massentourismusland #1 avanciert, wage ich wegen der Vetternwirtschaft, der abzockenden Taxifahrer und den Leute, die einen überall ansprechen zu bezweifeln. Dass die Bewohner der Favelas (Brasília hat keine!!!) ankommen und betteln, 14jährige Mütter auf der Straße sitzen und Geld wollen, lässt in mir Wut und Verstörung hochkommen. Auch, dass man Kugelschreiberketten und Krempel angedreht bekommt gehört für mich zum Urlaub in Lateinamerika dazu, aber am Flughafen von Bediensteten eines Schnellrestaurants, das chinesisch brasilianische Küche führt den Weg verweigert zu bekommen und stattdessen genötigt wird Plastikspeisekarte aus 10-Zentimeter-Abstand vor seinem Gesicht zu lesen, geht dann doch auf den Sack. Schluss für jetzt, Turbulenzen kommen. Glücklicherweise gibt es Kotztüten aus Plastik zum binden. Immerhin eine für 3 Leute. Puke-Sharing.

Das ewige Vater / Beschützer / Großer Bruder-Getue von István ging mir irgendwann auf die Nerven, ich habe es angesprochen, seitdem reißen wir Witze darüber, doch ganz kann er diese Attitüde nicht ablegen und das ist im nachhinein betrachtet auch gut so. Wir haben kein Fehlverhalten gezeigt, das andere Touristen vielleicht begangen hätten. Doch war es das einzig Bittere im ansonsten so süßen Getränk namens Urlaub, in dessen letztem Drittel ich mich befinde. Den letzten großen Schluck werde ich morgen und übermorgen nehmen können, danach bleibt nur noch der Rest, der aber mit dem Schnorchelgeräusch, das unter Verwendung des Strohhalmes entsteht so lange aussaugen, bis nur noch das Gedächtnis an das volle Glas, an dem überall nur noch Fruchtfleisch hängen wird, sich betrinken kann. Das Getränk schmeckt übrigens nach Caipirinha. Wen wundert’s?

Hier zwei schöne deutsche Wörter: MORSCH / ESTRAGON Sie sind unzweckmäßig kombiniert und bei einem zweifele ich stark, dass es „deutsch“ ist, was meine geliebte Wikipedia in den Sekunden, in denen ich hier schreibe bestätigt. Noch ein viel unzweckmäßigerer Einschub: Das Argument, dass Wikipedia die Kinderseelen verdorren lasse, weil jedes Referat eins zu eins übernommen werden kann, halte ich für so schwach, wie wenn man Bierdeckel-Herstellern vorwirft, dass ihre Bierdeckel zu instabil sind und man sie so leicht knicken kann, dass sie, wenn mal ein Tisch wackelt, sie so knicken kann, dass man einen einzigen geknickten Bierdeckel zwischen Tisch und Boden quetscht. Das arme Anti-Wackel-Masse produzierendes Gewerbe verdorrt! Deshalb stabilere Bierdeckel herstellen, damit die Versuchung einen Bierdeckel zu nehmen und zu knicken und unauffällig unter ein Tischbein zu quetschen viel geringer ist und man gezwungen ist mehrere Bierdeckel übereinander zu legen. Dann sähen es die Gäste und dünkten sich: Oh sieh, der Mann lässt das Anti-Wackel-Masse-Produzenten-Gewerbe verdorren und wäre in alle Zukunft alleine und traurig.

Fortaleza-Brasília: Selten so viele gemischte Wolken auf einem Haufen gesehen: Schwierig den Horizont zu erkennen. Supi: Das Hochhaus-Panorama Recifes wirkte wie der Hintergrund eines Rennspieles für den PC, bei dem solange fahren kann wie man will, den Hintergrund aber nie erreicht. Noch drei Stichwörter, darunter 2 Namen frech und zufällig kombiniert: Istvan, Pepsi, Halbschlaf. Für die Nixblicker und Langsamchecker ein ergänzendes Zitat: Ich bin untenrum total feucht!

Netterweise hat der Chef der Kabine vor dem Start – welch Wunder: auf akzentfreien Englisch – angekündigt, dass die üblichen Sicherheitserläuterungen ausschließlich auf Portugiesisch gehalten würden. Wäre ich ein überdurchschnittlich kluger Kopf, könnte sich nun vor mir das Dickicht des Regenwaldes meiner Fantasie lichten und ich könnte einen passenden und zugleich unterhaltsamen Vergleich am Wegrande des vor mir freiliegenden Weges pflücken und hier niederschreiben. Leider habe ich keine Machete dabei und auch tummeln sich keine kleinen Fabelwesen zu meinen Füßen, die wie der Vogel in Wagners Sigfried Siegfried, den rechten Weg zu geeigneten Lichtungen flüstern könnte und so endet das hier nun völlig unerwartet und ohne

Kommentierung erwünscht (aber bitte ersichtlich machen, wer da schreibt, wir sind hier nicht tagesschau.de)

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