Termine, kaum Stress und Hektik, aber auch nicht das Gegenteil

Eigentlich wollte ich anstelle dieses Textes hier, etwas völlig anderes schreiben. Ich wollte darüber schreiben, dass mir ein interessanter Gedanke gekommen ist. Da ich ihn wie fast alles was ich tue, schriftlich-digital festgehalten habe, füge ich ihn nun hier mittels der Tastenkombination Strg und V ein. „„Der Musikgeschmack eines Menschen wird maßgeblich durch das Umfeld der jeweiligen Veranstaltung geprägt.“ Klingt interessant. Doch ich möchte den Gedanken vertiefen und begründen. Jemand der sich selbst nicht in der Lage sieht, für etwa eine Stunde ruhig auf seinem Platz zu sitzen und sich in andächtige Schwere zu bringen, wobei leichtes Wippen einzelner Extremitäten keineswegs intolerabel ist, wird wohl niemals die Klänge von dessen vernehmen können, was landläufig als Klassische Musik bezeichnet wird. Im Gegensatz dazu wird wohl kaum ein Spross wohlerzogener Eltern auf eine Veranstaltung gehen, in dessen Ambiente er seinen Sinn für Ästhetik im Keime ersticken sieht, wie sein „Aber, ich habe mich doch immer…“ nach der Epochalnotenverkündung in der Schule. Es kommt ja nicht so sehr auf die jeweiligen Harmonien, sondern um das ganze Drumherum an. Einfachste Schemata werden ja überall von Gut und Böse benutzt. Das gilt für die Epochalnoten ebenso wie für Technofritzen und Philip Glass-Enthusiasten.““

Soweit so gut mag man denken, da sitzt also ein Bürschlein, das sich im weitesten Sinne für Musik interessiert und diese Gedanken notiert. Irgendwie ging der Text dann weiter mit einem Plädoyer von wegen, dass egal welche Art von Musik doch nur noch auf öffentlichen Plätzen wie Marktplätzen, Rathausplätzen oder Bahnhöfen gespielt werden darf. Ich führte aus, dass es keine noblen Clubs, Philharmonien oder Untergrundorte mehr geben dürfte, sondern raus aus dem Untergrund und rein in das öffentliche Leben. Ausgeschlossen habe ich Dönerbuden (zu klein), Flughäfen (zu selten), Militärübungsgelände (zu unübersichtlich, zu schwierig zu finden und im Rahmen der Demilitarisierung Deutschlands zu selten). Daher wählte ich Bahnhöfe, die ja an sich kostenlos zu benutzen und mit Öffentlichen Verkehrsmitteln perfekt zu erreichen sind. Ich dachte, hier würde sich niemand echauffieren, wenn der Vordermann wie wild rumspringt und klatscht und man käme auch sofort ins Gespräch, denn es gibt wohl keine in Deutschland lebende Person, die nicht wenigstens eine klitzekleine Meinung über die Bahn hat. Denn jeder benutzt sie. Die Schüler fahren zur Schule, die Banker zur Bank und die Blechner zur Blechnerei. Auch das ergab ja noch irgendwo Sinn, obwohl abzusehen war, dass das alles in eine Sackgasse lief, auf die ich direkt zusteuerte. Ich wusste das und mir ist bis heute auch kein ordentlicher Schleichweg eingefallen, um da wieder rauszukommen, doch ein wenig möchte ich ihn ausführen. Wer den Weg in die Sackgasse nicht lesen möchte, überspringt den folgenden Absatz.

Der Text behandelte die schlechte Bahnhofsakkustik, die ein Vorteil sei, da man sich ja auch so weiter unterhalten könnte, wie es ja auch schon heute üblich ist, bei konzertanten und opernhaften Aufführungen, ab. Ich dachte, das ist ja wirklich schön, aber mit dem eigentlichen Gedanken, der etwas über den Musikgeschmack eines jeden Menschen aussagt, hat das vorne und hinten rein gar nichts mehr zu tun. Das eine tangiert das andere also nicht mehr peripher. Irgendwo fiel dann auch noch der Slogan „Sex, Drugs und Quartvorhalt“, aber dermaßen ohne Zusammenhang, dass er es schon fast wieder verdient hat erwähnt zu werden. Ich hätte mir den Gedanken eigentlich noch ein paar Jährchen aufbewahren und reifen lassen können, doch ein innerer Drang verhinderte den Prozess der Adoleszentes, Ich analysierte in den darauffolgenden Zeilen, zwar keine Yaks, Yetis und erst recht nicht den yapanischen Yen, aber Ausführungen über Presseabteilungen von nach Gewinn strebenden Hightech-Sälen in denen Musicals aufgeführt werden, sind auch nicht viel besser geeignet um dem Text einen runden Schliff geben zu können.

Gestern dachte ich noch, dass Zugfahren doch wirklich etwas Schönes sei. Ganz. Ich dachte sogar, Zugfahren, sei der ideale Ort um Musik zu hören. Eine Oase der Ruhe und Entspannung, ein Paradies für Musikliebhaber. Einfach mal in Ruhe und ohne Termine, Stress und Hektik Zeit haben, um sich Ohrenstöpsel in die Ohren zu stöpseln und das zweite Klavierkonzert von Rachmaninoff zu hören. Denn das habe ich jetzt innerhalb kurzer Zeit 2x gemacht. Jetzt heute auf dem Weg von München in eine bayerische Kleinstadt, wollte ich die Möglichkeit nutzen um zu sehen wieviel Wahrheit in der Lebensweisheit „Aller guten Dinge sind drei“ steckt. Berufliche Dinge verhinderten eine Fahrt mit dem Fernverkehr, ließen mich erkennen, dass Lebensweisheiten falsch sind und so musste ich mit der schrecklichsten aller schrecklichen Erfindungen der Bahn vorlieb nehmen. Dem Regionalexpress.

Bevor es jetzt aus der Pendler-Ecke gellt, dass der Jellinek die Bahn verteufelt und tatsächlich ein Undercoveragent der Automobillobby ist, hier noch flink eine beneidenswerte Errungenschaft der Bahn. Nämlich die Salami-Pizza im Bord-Bistro für 5,90. Ein faires Angebot, wenn man das Verhältnis zwischen Nährwert und Preis betrachtet.

Er ist gedacht um in der Region zügig von Ort zur Ort zu reisen, er hält nicht an jedem Scheißhaisarl, aber doch regelmäßig genug, um Verwandten in der näheren Umgebung einen Besuch abstatten zu können oder meinetwegen zur Arbeit zu fahren. Klingt jetzt doch eigentlich ganz gut rufen wieder die Pendler, wenn es wirklich so schlimm ist, hätteste doch lieber auf den nächsten Fernzug (also IC/EC/ICE) gewartet. Hätte ich machen können, doch das Abendessen bei Oma und Opa rief: „Komm Bub, komm zu mir und iss mich gemeinsam mit deiner Oma und deinem Opa!“.

Die eben genannten Zwecke sind in der Tat auch die einzigen vernünftigen Gründe mit ihm zu fahren. Zum Reisen in den Urlaub, zum Arbeiten am Laptop oder gar zum Musikhören, ist er in keiner Weise zu gebrauchen. Der Regionalexpress ist eng, er ist laut, er stinkt, er ist unbequem und voller komischer Leute, die anscheinend noch nie eine Person mit Laptop im Zug gesehen haben. Man kann keine Plätze reservieren, aber so werden wenigstens die Gänge nicht von Leuten blockiert, die im Weg rumstehen und verzweifelst versuchen ihren reservierten Platz zu finden. Diese Menschen kann man glaube ich nur mit dem Wort Deutsche beschreiben, sie stammen aus allen Schichten, aus allen Löchern und aus ganz Deutschland. Weil sie den Wagenstandanzeiger auf dem Bahnsteig übersehen, beschweren sie sich, dass sie durch den ganzen Zug hetzen müssen um an ihren Platz zu gelangen.

Ausländische Mitreisende z.B. indisch-aussehende Familien (wer erkennt schon als Laie auf den ersten Blick den Unterschied zu den Pakistanern) mit mindestens acht Köpfen unterwegs, mögen zwar sonderbar und fremd in ihrem medusischen Auftreten erscheinen, doch sie sind bestens organisiert, niemand lärmt, niemand furzt (wie der Rentner, der grad neben mir sitzt, während ich das hier schreibe) und niemand fängt Diskussionen über reservierte Plätze an, wie sie vorkommen, wenn man mal wieder die Wagennummer verwechselt hat (Stichwort Wagenstandanzeiger). Ich sah also nach Minuten des In-mich-Kehrens, nach Momenten des Zweifels und nach Sekunden der Ohnmacht ein, dass ich mir für ein moment musicale eine andere Umgebung und ein anderes soziales Milieu suchen muss. Ein anderes öffentliches Umfeld, denn ich will ja nicht versauern, aber auch noch so zurückgezogen genug, dass man die Beine nicht eng anwinkeln muss, aber auch nicht so geräumig, dass die nächste Toilette einen Fußmarsch von 20 Minuten impliziert, ein Umfeld für die Veranstaltung, bei der man keine Brezelkrümel vom mampfenden Nachbarn abbekommt, aber auch nicht wie ein amerikanischer Footballtrainer brüllen muss, um den Kompagnon zu fragen, ob er mal kurz einen Blick auf die Sachen wirft, während man fix auf die Toilette verschwindet. Hier ist man dann alleine, hat seine Ruhe, wird nicht mal vom Zugpersonal genervt und erneut nach der Fahrkarte gefragt (Stichwort Personalwechsel) und auch die bezaubernde Eisprinzessin lässt einen mal für fünf Minuten in Frieden. Das Ziel ist erreicht, Musikgenuss, ich komme!

Kommentierung erwünscht (aber bitte ersichtlich machen, wer da schreibt, wir sind hier nicht tagesschau.de)

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