2007/2008 Die Wehrpflicht und Ich

12 Monate bei Deutschlands größter Reederei

Die Tage bis ich wieder offiziell Zivilist und somit für das Arbeitsamt Studiensuchender bin, kann ich bald an einer Hand abzählen. Dann habe ich die erste wirkliche Reifeprüfung in meinem Leben[1], erfolgreich bestanden. Spätfolgen durch Radarschäden, Rückenverkrummung durch zu niedrige Decken am Arbeitsplatz und im gesamten Boot sowie die permanente geistige Verwahrlosung durch das bloße Dasein an Bord eines Schnellbootes, mal außen vor gelassen.

Was hat mir das ganze also gebracht, was habe ich gelernt, wie geht es mir nun? All diese Fragen habe ich mir schon von Anfang an gestellt und für mich auch immer wieder beantwortet. Einhaken und ins Detail gehen möchte ich hier, an drei Stellen: Ganz zu Beginn des Grundwehrdienstes schrieb ich einen Text, den ich per Email an mein Online-Adressbuch verschickt habe. Nach dem Mittelmeer-Aufenthalt schrieb ich weitere Zeilen (veröffentlicht bisher nur an meine Oma) und jetzt verfasste ich noch einmal in meinen letzten Tagen als Soldat einige Gedanken. Hier nun erstmals alle drei Texte gesammelt, überarbeitet und abgerundet[2] veröffentlicht.

MONAT 1-3:  Die Grundausbildung

Seit drei geschlagenen Wochen verteidige ich schon mein Vaterland. Unglaublich, ich fühle mich so stolz und da ich es durchschnittlich 2 (sprich zwo) pro Woche durchgondle, weiß ich auch halbwegs, was ich zu verteidigen hab. Die kostenlosen Familienheimfahrten auf der Strecke zwischen Bremerhaven und Ludwigshafen (Flatrate-Fahren, Military-Interrail…ganz wie man es formulieren mag) haben also einen positiven Nebeneffekt. In dieser Email werde ich euch einen kleinen Einblick geben, natürlich nur minimal, begrenzt und unvollständig und nur aus Sicht eines kleinen Matrosen (ja so heißt mein Dienstgrad wirklich, nach 3 Monaten werde ich Gefreiter, nach weiteren 3 Monaten Obergefreiter und nach weiteren 6 Monaten Hauptgefreiter. Natürlich nur wenn alles gut läuft und ich keinen Mist baue, wie zum Beispiel während meiner Wache einnicken (Anmerkung als Zivilist: Ich bin tatsächlich schon einmal für Sekundenbruchteile eingeschlafen, wurde auch vom WO erwischt. Bin aber gleich wach geworden und so ward alles gut. Danke auch hier Arne!!)), der gerade mitten in der Grundausbildung steckt.

Die Grundausbildung gilt ja allgemein als das Härteste was die deutsche Militär-Menschheit jemals gesehen hat. 3 Monate voller Stress, 3 Monate voller Angstzustände, Schlaflosigkeit, Qualen durch Ausbilder und Rekruten à la Private Paula, Einschränkungen der Freiheit, Gehirnwäsche. In dieser Zeit lernt man Waffen blind auseinander zu nehmen und wieder zusammenzubauen und Ähnliches. Diese Gerüchte sind keine Gerüchte, sie sind die pure Wahrheit und es ist noch viel schlimmer. Zumindest gilt das für die Teilstreitkräfte Luftwaffe und Heer. Aber nie im Leben für die Marine.

Wie würden Nelson Muntz oder auch Captain „Hawkeye“ Pierce aus Simpsons und MASH reagieren? Richtig mit einem ironischen, auslachenden, abwertenden: HAHA!!

Fangen wir aber klein an und arbeiten uns etwas hoch in der Hierarchie der Bundeswehr. Die Rekruten sind zwar keine reine angehende Akademikerbande (Ausnahmen wie ich oder andere verrückte rheinland-pfälzische Abiturienten bestätigen die Regel), aber mit allen kommt man klar. Es verlangt ja halt schon etwas Grips NICHT zum Heer und NICHT zur Luftwaffe zu gehen. Klingt blöd, ist aber so. Auf unseren 3-4 Mann Stuben haben wir alle einen Spind in den alles reinkommt, was da auch rein soll. Er ist stets sauber zu halten genauso, wie unser Bock immer ordentlich gemacht werden muss. Da wir alle wie gesagt ein bisschen Grips haben, halten wir uns auch daran und kriegen keinen Einlauf wie die Ausbilder so schön sagen. Zumindest unsere Stube nicht fürs „Schlechte-Bettenmachen“.

Auch außerhalb des Dienstes verstehen wir uns gut, kleine Cliquen bilden sich schon. Das Mannschaftsheim, also eine Gaststätte in der man seinen Wehrsold mit Internet, Döner und Hefeweizen auf den Kopf hauen kann, ist der perfekte Ort dafür. Oder auch Bremerhaven, das in seiner Attraktivität durch die kleine Innenstadt und den kleinsten Zoo Deutschlands gar nicht mal so schlimm ist für ein paar Monate. Aber langfristig gibt es nicht viel Spektakuläres dort zu sehen.

Doch, das örtliche Theater (welches im Zentrum der Innenstadt, also 15 Minuten Fußweg vom Gelände der Marineoperationsschule entfernt ist) hat neuerdings den „Feuervogel“ und „Petruschka“ im Programm. Mal schauen ob ich da mal vorbeischauen kann[3]. Abends müssen wir halt um 22.30 wieder zurück sein, was aber eine vertretbare Zeit ist.

Kommen wir zum zentralen Geschehen der Grundausbildung: Die Ausbilder: Es gibt, wie sollte es auch anders sein, völlig verschiedene Archetypen. Zum einen der stets korrekte, penible, der keine Fehler und keinen Mucks durchgehen lässt und auch in den kurzen gemeinsamen Momenten des gepflegten Smalltalks nach Dienstausscheid (sprich Feierabend) stets auf Distanz bleibt.

Dann gibt es den jungen, dem einfach noch die Autorität fehlt teilweise etwas unsicher wirkt, aber auch schon auf den Putz hauen kann, wenn ihm etwas missfällt. Er ist sehr sympathisch und irgendwie goldig.

Dann gibt es den erfahrenen alten, der mal ganz lustige Sprüche loslässt, aber auch nach dem Motto Zuckerbrot und Peitsche arbeitet. Mal etwas lockerer, mal etwas strenger, aber immer unter Kontrolle, aber stets mit der gewissen Menschlichkeit, selbst wenn etwas schief läuft.

Auch der Schizophrene darf nicht fehlen. Er war lange im Ausland, hat viel gesehen und erlebt, ist in ruhigen Momenten, in denen er Dinge erklärt sehr angenehm, nett, erzählt sehr viel, aber wenn er auch nur leicht gereizt ist, dann wir er zur Bombe. Sein Gesicht wird rot und schreit nur noch rum, ein lebendes HB-Männchen. Es kann aber gut sein, dass er zwo Minuten später wieder ganz cool ist. Wie gesagt: Schizophren.

Der Gelangweilte: Er ist fast immer total gelassen, gediegen und kein Unsinn der Rekruten kann ihn aus seinem geistigen Tiefschlaf holen. Wahrscheinlich würde er sofern er keine Vorgesetzten hätte, nur das Nötigste für sich und seine Untergebenen machen und den ganzen Tag chillen.

Zu guter letzt der Geniale: Er unterscheidet sich vom Gelangweilten, dass er mehr Motivation zeigt, die Stimmung aber ähnlich entspannt ist. Er regt sich auch schon mal auf, aber auf eine liebenswerte Art und Weise, dass es immer für Gelächter sorgt. Er macht andauernd Witze und lässt Sprüche los, bei denen eigentlich kein geregelter Dienst mehr möglich ist. Häufig weiß man auch nicht ob er mit sich selbst oder zu den Rekruten spricht. Wer nun einen Sinn für abstrakten Humor hat kann sich spätestens jetzt nicht mehr beherrschen (also ich) und steht kurz vor einem Lachflash. Würde der Ausbilder nicht so mit sich selbst und seinem Universum beschäftigt sein, so würden ich und andere mehrere Disziplinarmaßnahmen wegen Unbeherrschens am Hals haben. Die Sprüche hier einzeln aufzulisten wäre ziemlich sinnlos, der militärische Kontext fehlt einfach, aber mit diesem zusammen gibt es ein paar Situationen, die einfach göttlich sind. Dank zweier dieser genialen Typen bin ich am Ende auf einem Schnellboot gelandet[4]. Danke!!!

Soweit das Interessante zu den Ausbildern, der Spieß[5] und unser Inspektionschef wären nochmal ein anderes Kapitel wert zu schreiben, aber wir wollen ja nicht alles aus dem Nähkästchen plaudern, sondern noch ein wenig im Schatzkästchen für gemeinsame Erzählstunden aufbewahren.

Was also hier sonst noch erwähnenswert ist (Reiseführer-Teil): Die Marineoperationsschule (kurz MOS) besteht nicht nur aus den zwo[6] Lehrgruppen (A und B) in denen Rekruten ausgebildet werden, sondern hat auch noch massenhaft Lehrgänge für Unteroffiziersanwärter, Unteroffiziere, Offiziersanwärter und Offiziere, im Programm. Und diese Menschenmassen (insgesamt geschätzte 500-600 Leute, oder Kameraden wie man so schön sagt) wollen ordentlich versorgt werden. Ergo ist des Essen standartmäßig sehr gut. Mit dieser Meinung stand ich zwar nicht völlig allein, aber grundsätzlich wurde von allen Seiten nur übers Essen geschimpft. Aber jede Jugendherberge wird um Längen geschlagen: Morgens gibt es immer frische Brötchen, verschiedene Brotsorten, verschiedene Wurst/Käse/Marmelade/Konfitüre- und Milchsorten. Dann gibt es min. ein halbes Dutzend verschiedene Teesorten und nochmal so viele (wenn nicht gar mehr) Müslisorten. Aber nicht nur so trockenes ekliges Zeug sondern der ganze ungesunde Kram, der mir als kleines Kind (zum Glück/leider) verwehrt blieb. Dazu natürlich noch frisches Obst und weiß der Teufel 1-2 pro Woche frische Eier, bzw. Rühreier. Hammergeil. Mittags gibt es immer Suppe, 2 verschiedene Hauptgänge, 2 verschiedene Nachspeisen sowie ca. 8 verschiedene Salatsorten, von Kraut und Karottensalat bis hin zu Wurstsalat und Radieschen, Eier und Griechischem Salat. Abends noch einmal ein guter Mix aus Frühstück und Mittagessen, wahlweise warm, aber auf alle Fälle verschiedene Brotsorten und die Salatbar. Also wie gesagt für Massenverpflegung ultragenial.[7]

Soviel auch dazu, kommen wir – wie man auf SWR2 so schön sagen würde – zu einem ganz anderen Thema: Was mache ich so den ganzen Tag wenn ich nicht gerade chille[8], schlafe, im Mannschaftsheim bin oder esse?

Morgens um ca. 5 Uhr Aufstehen.10-15 Zeit zum Wachwerden/Zähneputzen. Danach 10-15 Minuten Frühsport um den Kreislauf anzuregen. Ist aber eher harmlos, ein bisschen Treppenlaufen, 2x um den Sportplatz oder sowas. Aber immer mit Liegestützen. Aber auch nur wenn die Ausbilder Lust und Motivation haben. Unglücklicherweise steigerte sich die im Laufe der Grundausbildung kontinuierlich. Anschließend an das „Körper-in-Wallung-bringen“ Duschen und Frühstück. Gegen 7 folgen die Musterungen, sprich es wird erklärt was wo gemacht wird und man kann sich hier in den Sanitätsbereich abmelden, wenn man Wehwechen hat. Danach folgt Dienst nach Plan. Das kann Chef-Unterricht sein, also politische Bildung, Wehrpflichtgesetz und Ähnliches. Kein MSS-Niveau, aber einige finden es dennoch viel zu langweilig und schwierig.

Oder wir haben Handwaffenausbildung. Das Gewehr G36 und die Pistole P8 sind für die nächste Zeit meine ständigen Begleiter. Aber ehrlich gesagt bin ich nicht so ein großer Freund davon. Naja. Vielleicht liegt es auch nur an meinen zwei linken Händen. Da ist mir Morsen lieber, auch wenn das wirklich nicht leicht ist. Intelligenz erleichtert das Erlernen der Zeichen, aber bis wir alle es können, dauert es noch 2 Monate. Highlights sind immer Schwimmen im zivilen Schwimmbad und natürlich Unterricht bei der Pastoralreferentin mit Kurzhaarschnitt und Doppelnamen. Diese bietet auf Staatskosten Kaffee und Kuchen an und der Eindruck, dass die Militärpfarrer alle sehr nett und einladend sind, werde ich in ein paar Monaten auf Zypern bestätigen können.

MONAT 4-6:

UNIFIL (10. Juli bis 31. August bis 15. September)

Am schönsten sind die Dinge doch, wenn man sie im Nachhinein betrachtet. Das Schöne und Gute wird rausgefiltert und hübsch präsentiert, während das Schlechte und Unangenehme verdrängt und beiseite geschoben wird.

Doch nicht hier in diesem Bericht. Naja, eigentlich schon, denn schließlich sind jetzt 2 Wochen vergangen in denen ich wieder in Deutschland, in der guten und schönen Heimat bin und einigen Abstand zu Vergangenem gewinnen konnte. Zudem ist Wochenende, das erleichtert alles auch noch mal ein wenig.

Eins vorweg, so schlimm war alles nicht. Auch nicht während des Einsatzes oder während den unangenehmsten, nervigsten und beschissensten Momenten dieses Auslandeinsatzes mit der Deutschen Marine. Die vielen Momente des totalen Stresses in denen ich teilweise eine krasse „Leckt mich doch alle“-Mentalität aufgebaut habe, die ich von mir selbst nicht kannte, waren nicht besonders schön und ich habe sie zu meinem eigenen Überraschen fast alle vergessen. Mir fallen einfach keine konkreten Vorgänge mehr ein, nur noch Schemata und Verhaltens- bzw. Ablaufmuster.

Schon am Ende meiner Grundausbildung zum Signalbetriebsgasten in der Marineoperationsschule im ruhigen Bremerhaven wurde mir mitgeteilt, dass ich mit meiner neuen Einheit, dem Schnellboot „S 80 Hyäne“, dem letzten und damit neuesten Schnellboot der „Gepard-Klasse 143A“, welches noch vor meiner Geburt und damit noch zur Dienstzeit meines Vaters bei Deutschlands größter Reederei im Jahr 1984 in Dienst gestellt wurde, an der Operation „Maritime UNIFIL“ für gut 2 Monate teilnehmen werde.

Wie gut, dass der letzte Satz geschrieben ist. Er ist in der Tat etwas lang und jeder Über- und Unterdurchschnittssoldat hätte schon beim Wort Bremerhaven den Faden verloren, da er (oder auch sie!!) nur Sätze in Länge der Bildzeitung gewohnt ist. Das ist kein herablassendes Abwerten meinerseits, durch kurze präzise Äußerungen werden eben Missverständnisse vermieden und wer sich nicht immer nach diesem Muster verhält, (also zum Beispiel, hm, eine aus der Luft gegriffene Person) dem wird nahe gelegt, das doch bitte im Sinne des allgemeinmilitärischen Wohlbefindens ändern. Wie gut, dass ich in dieser Hinsicht (noch) nicht vereinnahmt wurde und noch ein bisschen Selbstständigkeit beim Verfassen eigener Gedanken aufbringen kann. Das freut mich wirklich. Aber Moment. Ich schweife ab. Obwohl aber genau dieses Philosophieren über die Bundeswehr oder die Marine im speziellen mir eigentlich am meisten Spaß macht, wenn ich über meinen Arbeitsplatz reden will. Irgendwie bin ich doch beim Falschen aber zugleich richtigen Verein gelandet. Ein interessantes Paradoxon, doch davon gibt es viele bei der Bundeswehr. Dumm und Schlau, Reich und Arm, Einfach und Schwierig, Stress und Entspannung, Chaos und Ordnung liegen häufig so dicht zusammen und man merkt es einfach nicht.

Zurück ins beschauliche Bremerhaven. Hier bekam ich also die aufregende Nachricht und sofort eine Übersicht, in denen die Erfahrungen der letzten Jahre zusammengetragen wurden, was man denn alles so im Vorfeld eines Auslandseinsatzes zu erledigen hat. Eigentlich muss man nur dasselbe tun, wie wenn man etwas länger im Urlaub ist. Katze der Freundin geben, Wohnung gut abschließen und nur die engsten Vertrauten an sein Konto lassen. Sonst könnte sein, dass man bei der Ankunft im Heimathafen von seinem Partner mit einem neuen Smart begrüßt wird. Oder Volvo. Je nach Geschmack eben. Meinten zumindest die überaus netten und ehrlichen Grundausbilder. Doch was mich wirklich abgeschreckt und manch anderen Kameraden (welch umspannendes Wort für seine netten Kollegen, egal ob Admiral oder Matrose) in der Grundausbildung zum (Aus)Lachen gebracht hat, war der Hinweis, dass man sich überlegen sollte, ein Testament zu verfassen. Das wurde mir dann 2 Wochen später auf der neuen Einheit ein weiteres Mal nahe gelegt, doch ich habe es mit gutem Gewissen gelassen. Denn wer unter 20 ist und kerngesund, und trotzdem eins verfasst, der muss in seinem Leben schon einiges falsch gemacht haben.

Nun gut, ich bekam die Meldung zwecks Libanon, telefonierte wie wild nach Ludwigshafen inklusive Oggersheim und Maxdorf, aber freundete mich recht schnell mit dem Gedanken an und ich kann diese Entscheidung im Nachhinein – weise rückblickend – als die Beste definieren. Es kam zwar alles total überraschend und ich war auch erst mal neben der Spur, aber meiner damaligen Freundin und mir war klar, dass ich mich hinterher grün und blau ärgern würde, wenn ich es nicht mache. So kam ich also auf die Hyäne (in Fachkreisen gerne HYA oder auch DRCN (sprich: deltaromeocharlienovember) oder auch die schnellste Theke der Flotte genannt) und alles ward gut.

Meine Ankunft am 2. Juli 2007 im 7. und einzig verbliebenen Schnellbootgeschwader war durchwachsen, genauso wie die erste Woche. Denn nach Meinung des Geschäftszimmers (den ersten Ort, den man bei der Bundeswehr betritt, wenn man irgendetwas von irgendwem möchte oder denkt, man möchte[9]) war meine Ankunftszeit auf dem Marinestützpunkt Hohe Düne in Rostock-Warnemünde viel zu spät. Ja was mir denn eigentlich einfiele am ersten Tag so spät zu kommen und was mir denn vorher gesagt wurde, wann ich denn kommen solle und überhaupt.

Die Bahn.

Als Antwort widerwillig akzeptiert. Gut, dann wurde ich erst einmal auf den Hermelin – wieso auch immer, denn mein Boot war doch die Hyäne!! – geschickt um mich dort beim IWO (sprich: eins-weh-oh) zu melden. Das Boot war schnell gefunden, der IWO auch, der gelernte Spruch (gefreiterjellinekmeldemichvondersiebtenmarineoperationsschuleaufdasschnellboothyänemitwirkungzumzwotenjulizweitausendsiebendversetzt) aufgesagt und somit der erste Eindruck gemacht. Auf beiden Seiten versteht sich. Immer noch platt von 9 Stunden Reise, war das alles, was mir an diesem Tag von meinem neuen Vorgesetzten gesagt wurde, mit dem ich noch sehr viel zu tun haben sollte.

Meine Bootsstube, auf der ich in der dienstfreien Zeit schlafen und leben durfte, war die nächste Aufgabe, die auf mich wartete. Also schleppte ich mich mit meinen gefühlten 80 Kilogramm Gepäck ins besagte Gebäude, welches wirklich ca. einen Kilometer vom Boot entfernt steht. Es war in der Tat noch beschissener als es sich anhört. Denn auch die Ankunft dort war nicht sehr erfreulich. Die zugeteilte Stube war dermaßen dreckig, dass es selbst mich als unerschrockenen Junggesellen davor grauste. Völlig erschöpft ließ ich mich auf meinen durchgelegenen Bock fallen[10] und hatte zum ersten Mal überhaupt keine Lust mehr. Auf gar nix. Aber die Bundeswehr lässt selten Langeweile aufkommen und so hatte ich die nächsten Tage einen total beknackten Laufzettel abzuarbeiten. Ich rannte also von morgens bis nachmittags über den gesamten Stützpunkt und versuchte irgendwelche beknackten Unterschriften zu bekommen.

Nebenbei hing ich aber noch dem alten Signäler, der schon völlig entnervt auf mein ständiges Fehlen reagierte, an der Klette, denn ich wollte so viel wie möglich von ihm lernen, denn er hatte drei Streifen mehr auf der Schulter und wollte mir auch noch ein paar Dinge mit auf den Weg geben. Ich sah schnell, dass Theorie (also die Grundausbildung) und die Praxis (insbesondere der „Maritime UNIFIL“-Einsatz) sich doch krass unterscheiden. Die Grundlagen versuchte man mir dort nahezubringen und teilweise hat es auch etwas genutzt. Das muss ich zugeben, doch wenn ich ehrlich bin, hat mich die Theorie über die Praxis noch mehr verwirrt als ich sowieso schon war.

Der Flug in den Süden über Hamburg, Pisa nach Zypern, die erste Ankunft in der Hitze, das Leben im Hotel, das Herausfahren in die AMO (die Küste vor den Libanon), Beirut bei Tag und Nacht, Angriffe und Feuer bei Tripoli, die absolute Langeweile im Süden an der israelischen Grenze, das Nichtstun auf See, die vielen Stressmomente mit meinen Vorgesetzten (leider waren es der Kommandant und der IWO, da die Signal-Unteroffiziersstelle bis zum Ende meiner Dienstzeit unbesetzt war), das viele Schleppen von Wasser und Nahrung in der wirklich krassen Hitze im Juli und August, das Leben im Wachstropp mit 6 Stunden Wache und 6 Stunden Freiwache, das Transitieren von Zypern zur libanesischen Küste bei Nacht und dennoch genügend Wärme um nur in T-Shirt an Oberdeck zu stehen, der nervige IWO, die Kaffeefahrt mit dem katholischen Militärpfarrer in ein Weindorf, das Einlaufen in Beirut mit schwerer Montur, der achtstündige Flug von Hamburg über Hannover und Pisa nach Zypern, die Abschiedsfeier der Dänen und Schweden mit zu viel Lakritzvodka, das einstündige Wachestehen in Beirut bei abartigen Gestank und unerträglicher Hitze, die ausgelassene Geburtstagsfeier in einem Pub mit Disco, die Langweile auf See, die mit Mario Barth, Dido und Rätselspielchen und Erzählungen aus der Kindheit auch noch morgens um 4 gebannt werden wollte und sollte, der Kommandant und sein Laptop mit dem er die Navigation, mich und manchmal auch die OPZ sehr gut unterstützen (de facto arbeitslos machen) konnte, das Schwimmen im Hotelpool, das Essen im Hotel, die Hässlichkeit Limassols, die Preise in Limassol, das sich selber anlernen und anlesen von so vielem, das Seemeilenschrubben, die Klos auch noch nachts um 11 schrubben, das zypriotische Dock gleich zu Beginn des Aufenthaltes, der runtergefallene und deshalb kaputte Fotoapparat, die Päckchen von daheim mit „Zeitlebenmagazin“ und „Fonoforum“, das Nichtbesitzen eines Laptops, das die Päckchen von und mit daheim noch so viel wertvoller gemacht hat, das Telefonieren mit daheim, der Internetzugang im Hotel auch für mich als Nichtlaptopbesitzer, Harry Potter, Vindings Spiel, die Routine im Leben an Bord, das Ausschlafen im Hotel, die Ruhe in den sechs Stunden Freiwache, ich könnte stundenlang Dinge aufzählen und mich in ewiglangen Erzählungen ergießen, aber will das wirklich jemand hören? Ist dieses Leben dort unten soviel interessanter als das alles was meine Freunde, meine Familie und die ganze Welt tagtäglich erleben? Es geschah so wenig und gleichzeitig doch soviel, es wurde irgendwann auch das vermeintlich Besondere Alltag.

Es ist schwierig alles mit Worten zu beschreiben, am ehesten kam noch einmal das Gefühl aus dem Einsatz hoch, als wir im Herbst in Hamburg-Harburg auf einem Einsatznachbereitungsseminar waren. Dort durfte sich noch mal jeder ausheulen was ihm so Probleme bereitet hat. Im Einsatz habe ich Vieles nicht gesehen, weil der Tellerrand manchmal vielleicht doch zu hoch war, aber was Monate später alles erzählt wurde, hat mir teilweise den Atem geraubt, auf was für Kleinigkeiten meine Mitkameraden wertgelegt haben. Also war mein Tellerrand gar nicht so hoch, denn ich hatte an meinem Arbeitsplatz fast nur mit den zwei ranghöchsten Personen an Bord zu tun und so war ich schnell über viel mehr informiert, als viele andere, die die Probleme und Entscheidung an „Höheren Stellen“ überhaupt nicht nachvollziehen konnten.

Gut, ich hatte aber auch Glück, dass ich gerade einmal 13 Wochen – Rücktransit mit eingerechnet – „im Einsatz“ war (und somit nicht wie fast alle 6 Monate am Stück) und bei mir alles sowieso noch wie ein Abenteuer vorkam. Doch mein Fazit aus dem Einsatz und dem Seminar war eindeutig, dass ich – wie sagt man so schön – wirklich meinen Mann gestanden habe. Zumindest für maritime Verhältnisse. Wer ist denn bitteschön beim Schippern durch Nord- und Ostsee schon tagtäglich 35 Grad im Schatten gewohnt?


MONAT 7-12:  Quo vadis?

Beginnen möchte ich nach dem Wiederkehren aus dem UNIFIL-Einsatz Mitte September[11]. Hier habe ich zum ersten Mal mehr als nur ein Wochenende frei bekommen. Das war glaube ich das wirklich beste was erst einmal dazu zu sagen wäre. Runtergekommen von dem Trip wieder daheim zu sein, bin ich aber erst ein paar Wochen später, als wir uns auf den Weg ins Marinearsenal nach Kiel gemacht haben, denn ein Motor war kaputt und wir konnten nur etwa ein Viertel unserer eigentlichen Maximalgeschwindigkeit machen. Dieser Umstand traf alle Schnellbootfahrer in ihrem Innersten, denn die Geschwindigkeit macht doch einen nicht unerheblichen Teil unseres Stolzes aus.

Da ich von der Mittelmeersafari kaum Verantwortung, was Anmeldung in Häfen betrifft, gewohnt war, traf mich der Kommandantenwechsel umso heftiger. Weil ich erst auf der 5 stündigen Seefahrt die Frequenz für die Anmeldung in Kiel herausgesucht habe (was neben vielem anderen mein Job ist), bekam ich, wie man in der Marinesprache sagt, ordentlich „Lack“.

Aber an diesem Tag war ich nicht der einzige. Der neue Kommandant war beim Einlaufen ins Arsenal äußerst launisch und hat so ziemlich die gesamte Besatzung zusammengestaucht, aber nur auf den ersten Blick. In Beispielen waren nämlich nur Mannschaften und Unteroffiziere die genannten Deppen vom Dienst. Dass die nächste Seefahrt besser aussah, als zu diesem Zeitpunkt angenommen, war uns noch nicht bewusst. Wie auch. Apropos Kommandanten, in meinen 9 Monaten Seefahrt (bis auf den Januar fuhr ich jeden Monat mindestens einen Tag zur See) habe ich 5 Kommandanten neben mir an meinem Arbeitsplatz erlebt. Den ersten cholerischen 2 Monate, den zweiten Kommandanten, Anfang Oktober und im Dezember, den dritten für die Überfahrt aus Kiel nach Rendsburg, den vierten für die Probefahrt von Rendsburg nach Rostock und den fünften für die Geschwaderübung in der Ostsee im Februar und März diesen Jahres.

Nun zurück in Kiel: Durch ein paar freie Abende im Mars[12] konnte ich Kiel ganz gut kennen lernen und meine eigenen Grenzen im Bereich des All-you-can-eat von Pizza-Hut auch[13]. Eigentlich sollten wir nur für weniger als 2 Wochen im Trockendock zu Kiel liegen, aber die technischen Probleme waren gewaltiger als angenommen und so verlängerte sich am Schluss der Aufenthalt zur Reparatur auf insgesamt fast 2 Monate. Als wir dann von Kiel nach Rendsburg (Genau gesagt Schacht-Audorf) verlegten, begann eine sehr sehr sehr ruhige also auch sehr sehr schöne Zeit. Denn von nun an, waren an Bord meistens nur noch die Wachgruppe plus den Wachhabenden Offizier sowie als technischen Überwacher des Ganzen der Schiffstechnikoffizier oder der Meister der Motoren, also selten mehr als 9 Leute.

Das war ziemlich praktisch, besonders wenn man ganz unten in der Nahrungskette der Bundeswehr steht. Und das blieb ich durch meinen Dienstgrad praktisch die ganze Zeit, auch wenn ich in meiner Tätigkeit als Signalbetriebsgast den Abschnitt alleine mir angelernt und durchgehend selbstständig geführt habe. Das wollte ich häufig nicht, war dazu aber durch die Personalpolitik der Bundeswehr gezwungen. Wie schon angedeutet war es also eine alles in allem erholsame Zeit, denn zwischen 5-7 Tage am Stück Wache gehen, während der man Musikhören, lesen und schlafen[14] durfte, befand sich jeweils immer eine Woche Sonderurlaub, als Ausgleich für die Härte des Wachgehens. Zum Glück hatte ich mir bis dahin einen Laptop gekaut, der das häufige Pendeln mit dem Zug und die langen Abende im Vorschiff wesentlich erträglicher gemacht hat.

Genau wegen dieses schönen Lebens habe ich dann mit dem Gedanken gespielt meine Wehrdienstzeit zu verlängern. Mein Anliegen trug ich schon im November vor, doch bis der Antrag durch den selten erscheinenden Kommandanten bei der Stammdienstelle der Bundeswehr eingereicht wurde, verging etwa ein Monat. Bis er bei mir abgelehnt zurückgeschickt wurde, ein weiterer. Diese überraschende Nachricht führte zu meinem vorzeitigen soldatischen Ableben, über das ich jetzt aber im Nachhinein ganz froh bin.

Mein Geburtstag 2007: Eine administrative Überprüfung haben wir nach wochenlanger Vorbereitung und eindringlichen Worten des Kommandanten erfolgreich gemeistert: „Unteroffiziere und Mannschaften wären jetzt weniger gefordert“, hieß es in einer Ansprache an seine Besatzung, „die Bootsleute und Offiziere hätten jetzt jede Menge Arbeit und wir (die Unteroffiziere und Mannschaften) sollten durch unser Reinschiff dafür sorgen, dass „die hervorragende Arbeit der Bootsleute und Offiziere auch Früchte trägt“. Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus (nicht, dass wir NICHT wie die Bekloppten geputzt hätten), denn nicht nur Bootsleute und Offiziere sind Abschnittsleiter mit entsprechenden Verantwortung, aber dazu ist ein Kommandant eben Kommandant um solchen Blödsinn verzapfen zu können.

Spaß mit ihm hatten wir trotzdem, das Schießen direkt vor Weihnachten in Zusammenarbeit mit der Marinetechnikschule Parow war ein voller Erfolg. Dort wurden dann auch gleichzeitig mein Geburtstag und der dreißigste Geburtstag eines Bootsmanns gefeiert. Zum Geburtstag grundsätzlich gehört bei uns der Geburtstagsdrink, der vor versammelter Mannschaft getrunken werden muss. Er besteht grundlegend aus dem Mittagessen und Schnaps. Klingt eklig, ist aber machbar.

Ledige 30jährige Geburtstagskinder müssen zusätzlich zur vollen Tasse[15] fegen bis eine Jungfrau ihn küsst. Da Frauen bei uns Mangelware sind, gestaltet sich das Fegen als eine etwas längere Angelegenheit. Spaß hatten wir an dem Abend alle und wir haben gesehen, dass der Kommandant doch gar nicht mal so unlustig ist, wie wir vielleicht am Anfang alle gedacht haben.

Mittlerweile habe ich gemerkt wie weit weg alles aus meinem Leben ist, was vor der Hyäne, meinem Schnellboot, passiert ist. Nicht nur das Abitur und das ganze Leben darum, auch die Grundausbildung fühlt sich soweit weg an. Nur die Erinnerung an manche Kameraden, die man zufällig auf dem Marinestützpunkt oder auf dem Bahnhof trifft, lassen sie wieder etwas präsenter werden. Ein Nachtrag dazu: Das absolute Negativhighlight aus der Grundausbildung war der Marinechor „Die Blauen Jungs“, der womöglich der schlechteste Chor auf Erden. Selbst ein Wochenende habe ich für sie geopfert und das, obwohl es mir am Schluss überhaupt keinen Spaß mehr gemacht hat. Aber auch solche Momente muss man überleben, dann freut man sich auf den restlichen Wahnsinn, den man bei der Marine tagtäglich erlebt. Oder auch nicht.

Jeder, mich eingeschlossen, regt sich täglich über den riesigen Berg an Vorschriften und Verordnungen auf, doch im Grunde genommen braucht man sie. Gefühlte 80% aller Soldaten sind jünger als 30 Jahre und ich habe so häufig gemerkt, sobald nicht irgendein Ablauf befohlen, vorher festgelegt oder irgendwo niedergeschrieben ist, gerät er außer Kontrolle. Niemand weiß mehr wo was geschieht und alle stehen unkontrolliert in der Formation Wilde Wolke herum. Das klingt zwar sehr lustig, doch es ist auch irgendwo traurig/interessant/beschämend zu sehen, wie das Gebilde Bundeswehr Einige zu unselbstständigen Menschen macht, die nur das leisten können, was eine andere Stelle vorgibt. Nichts gegen Befehl und Gehorsam, denn ohne dieses Grundprinzip eines jeden Militärs würde der Laden vollkommen aus dem Ruder laufen, aber alle Dinge, die den normalen Tagesdienst überschreiten und nicht rein privater Natur sind, gehen doch sehr schwierig von statten.

Was für mich aber die Bundeswehr abschließend doch ganz schön gemacht hat, war die Abwechslung, die ich hatte. Selten hatte ich das Gefühl, dass ich auch nur 2 Wochen in die Zukunft schauen konnte. Nie wussten wir ganz genau was passiert und wie. Selbst, als klar war, dass wir knapp 2 Monate keine Seefahrt haben sollten, kam auf einmal die Nachricht, dass ich nicht verlängern dürfte. Daraufhin hatte ich 3 Wochen am Stück Urlaub (selbst als Schüler hat man selten so lange ununterbrochen frei) und dann kam der absolute Höhepunkt meiner ganzen Zeit bei der Marine.

Das dreiwöchige Squadex[16] ab Mitte Februar mit Zwischenhalten in Kiel, Eckernförde, Århus, Sassnitz, Rostock und Malmö brachte mir nicht nur 2500 Seemeilen sondern vor allem jede Menge Spaß. Das lag in erster Linie am Gastkommandanten. Als großer Helge-Schneider-Fan hatte er wie sein Idol einen ähnlichen Humor und ließ alle um sich herum an diesem teilhaben. Oder eines Abends, während einer für ihn und uns langweiligen Übung, holte er seinen Dienstlaptop und spielte eine lustige, aber total primitiv-dämliche Teenie-Kultkomödie[17] ab. Zwischendrin machte er mal eine halbe Stunde Pause um irgendwo anders zu arbeiten, dann ging es munter weiter.

Doch all der Spaß hatte auch seine Kehrseiten. Denn der Musikgeschmack war teilweise nicht auszuhalten. Roland Kaiser, Wolfgang Petri und Konsorten wurden rauf und runtergespielt[18]. Zwischendrin kam dann auch mal Ennio Morricone, aber Schlager waren seine erste Wahl. Als ich ihn einmal auf den eigenwilligen Geschmack ansprach, gab er eine Antwort, der ich wirklich nicht widersprechen konnte: „Ist doch eindeutig besser, als „Böhse Onkelz“!“

Zu meiner eigentlichen Arbeit: In den beiden Auslandshäfen Århus in Dänemark und Malmö in Schweden wurde jeweils ein Empfang gegeben. Eigentlich nur für Offiziere, Honorarkonsulate plus Gattin, aber ich war jeweils dabei. Leider musste ich arbeiten. Einmal musste ich Cannapés verteilen, die wirklich lecker waren, das andere mal stand ich hinter der Bar, also an der Quelle zu zollfreien Alkoholika. Ebenfalls sehr lecker, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Tja, zusammengefasst war das alles an Schönem, was es zu berichten gab. Der Rest war Schlafentzug, sinnlose Übungen um Schlafentzug zu fördern und schlechtes Essen. Stichwort DiätWochen Bei Hyäne.

Tja, das ist die Bundeswehr. Unsinnige Dinge bei wenig Schlaf und noch schlechterer Nahrung, doch aus irgendwelchen Gründen haben wir alle gelegentlich Spaß, denn ansonsten würde man den Wahnsinn nicht aushalten und man geht beruflich, aber auch persönlich in diesem riesigen Arbeits- und Verwaltungsapparat unter.

Epilog

Tja, nun bin ich draußen, zivil, frei, zufrieden und happy, wie auch immer. Wahrscheinlich werde ich von all den Typen nie wieder auch nur einen einzigen sehen. Das ist bei manchen Leuten echt schade; Freunde fürs (ganze) Leben hab ich unter den Soldaten keine gefunden und Elfer sind gar nicht mal so doof für die sie immer gehalten werden, gerade sie waren manchmal die nettesten. Einen fließenden Übergang wie nach dem Abi gibt es für mich nicht. Niemand wird mir erzählen was die Leute, was die Besatzung so treibt, alles ist einfach abgeschnitten. Dass mich das jetzt so trifft, der schnelle Abschied, „Tschüß und Weg“, das alles hab ich mir irgendwie anders vorgestellt. Für die meisten hab ich mir schon Gedanken gemacht, was ich ihnen noch sagen könnte zum Abschied, aber dazu kam ich nicht mehr.

Glücklich bin ich trotzdem. Und zwar richtig.

Nie wieder Rostock, nie wieder Uniform, nie wieder Bundeswehr.

Meine Bundeswehrzeit in Zahlen

37100000 Die Strecke aller Familienheimfahrten in Metern

12701,12 Die Strecke aller Seefahrten in nautischen Meilen[19]

3500 Der Betrag für eine „Mobility“ Bahncard 100. Sie hätte sich gerechnet[20].

3215,74 Der Betrag des gesamten Wehrsoldes in Euro[21]

180 Die geschätzte Dauer aller Putzstunden

30 Ungefähre Anzahl an gehailten[22] Schiffen vor der libanesischen Küste

10 Anzahl der verbrachten Nächte im Hotel auf Zypern (inkl. Vollpension)

7 Durchgelesene Bücher

5,2 Die gefühlte durchschnittliche Schlafzeit pro Nacht in Stunden[23]

3 Freunde fürs halbe Leben gewonnen

2 Mit zu viel Bier ausgefüllte Abende

1 Beziehung durchlebt


[1] Die Schule wurde mir ja eigentlich auch als Ernst des Lebens angepriesen…aber Realität sieht anders aus!

[2] Lediglich auf ein einheitliches Tempus konnte ich mich bis heute nicht einigen.

[3] Anmerkung: Die Science-Fiction Inszenierung im Stile von Matrix, Star Wars und Blade Runner war echt sehr nett. Und dank des Wehrpflichtigen-Rabatts in der fünften Reihe rechts außen noch sehr gut bezahlbar.

[4] Zumindest ist das MEINE Theorie.

[5] Milit. Dt.: Kompaniefeldwebel (Bei der Marine Inspektionsfeldwebel. Obwohl er genauer gesagt Inspektionsbootsmann heißen müsste, denn der Dienstgrad „Feldwebel“ ist bei der Marine der „Bootsmann“. Auch bei Frauen)

[6] Milit. Dt.: 2

[7] So gutes Essen fand ich später nur noch auf Versorgern, nie wieder auf der eigenen Einheit.

[8] Ugs. Entspannen, abhängen. Einfach mal Chillen und Jellinek zusammenmixen, fertig ist mein Grundausbildungs-Spitzname

[9] Die Geschichte mit dem Passierschein A38 aus „Asterix gegen Cäsar“ ist gar nicht mal so unrealistisch

[10] Die Böcke in der Grundausbildung blieben ein Traum!

[11] Der aufmerksame Leser merkt, dass ich hier schon mal eingehakt habe, aber euch sei versichert, das Murmeltier grüßt bei mir nicht täglich!

[12] Milit. Dt.: Marinearsenal

[13] Anzahl der Stücke siehe die Nummer der Fußnote!

[14] Dieses Recht habe ich mir aber alleine heraus gepickt.

[15] Meine hat unser Mannsweib („Mulle“) umgeschüttet und somit hatte ich verdammtes Glück. Mein Kommentar vor versammelter Runde, dass der Drink „besser geschmeckt hat, als das Mittagessen“, war eine taktische Maßnahme um vom Leiden des anderen abzulenken.

[16] Milit. Dt.: Geschwaderübung: Squad=Geschwader, Ex=Exercise=Übung

[17] Nicht „American Pie“, sondern den noch bescheuerteren „Europtrip“

[18] Auch im Einsatz waren nur wenige CDs an Bord, leider auch hier Roland Kaiser und noch viel schlimmer: Christina Stürmer.

[19] In Kilometern: 23522,47

[20] Dank der kostenlosen Familienheimfahrten musste ich aber sowieso nichts bezahlen.

[21] Nicht mitgerechnet ist ein Vielfaches an Zuschlägen ohne das ich meinen durchaus glamourösen Lebensstil nicht hätte finanzieren können. Damit wäre hier auch mal das Tabu vom Schweigen über Geld gebrochen

[22] Milit. Dt.: Überprüfen/Abfragen von Daten wie Zielort/Personen an Bord

[23] Wachfreie Nächte, Nächte auf Stube nach der Grundausbildung, Schlafzeit tagsüber und während des Tagesdienstes nicht mitgerechnet, sonst Wert jenseits der zivilen Vorstellungskraft.

Kommentierung erwünscht (aber bitte ersichtlich machen, wer da schreibt, wir sind hier nicht tagesschau.de)

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